Studienfahrt nach Temeswar

Als sich am Montagmorgen um 4:15 Uhr zwei Lehrer und 22 verschlafene Schüler am Stuttgarter Flughafen versammelten, ahnte noch niemand, was die Woche mit sich bringen würde. Wie auch, wenn das Ziel der Flugreise mit dem Namen Temeswar kaum jemanden geläufig ist. Statt sich also darum Gedanken zu machen, versuchten viele einfach nur durch das typische Prozedere am Flughafen zu kommen, ohne dabei einzuschlafen. Nachdem wir dann alle schließlich im Flugzeug waren, begrüßte uns ein sehr schöner Sonnenaufgang, um schließlich nach anderthalb Stunden am Flughafen Temeswar zu landen. Kaum waren wir aus dem Flugzeug raus so begrüßte uns auch schon unser rumänischer Guide, der uns mitsamt zwei Bussen für uns und unser Gepäck empfing. Doch obwohl seine Badelatschen zugegeben nicht die optimale Wahl waren, um eine Schulklasse durch die Gegend zu fahren, erreichten wir schließlich unsere Herberge nach gut einer halben Stunde Autofahrt. Hier sollten wir uns nicht allzu lange Aufhalten bis wir das erste Mal tatsächlich die Stadt besichtigen. Bei Temeswar handelt es sich um die drittgrößte Stadt Rumäniens mit ca. 300.000 Einwohnern. Sie ist vor allem wegen ihrer ethnischen und kulturellen Vielfalt bekannt, die sich in ihr vereinen. Das zeigt sich nicht zuletzt durch die vielfältigen Gebäude und Baustile, die wir am Montagabend auf unserer ersten Stadtführung besichtigten durften. Während am Siegesplatz eine prächtige orthodoxe Kirche über die Stadt prangert, finden sich wenige hunderte Meter davon entfernt orientalisch anmutende Gebäude und auch an Kirchen anderer Glaubensrichtung mangelt es nicht. Ganz nebenbei lernten wir beim Besichtigen der historischen Stadtmauer etwas über die historische Rolle Temeswars als Festung. Aber auch die Besichtigung weitläufiger Fußgängerzonen mit vielen Geschäften und Restaurants kam nicht zu kurz, was die Führung insgesamt angenehm auflockerte. Somit haben wir allein schon am ersten Tag einen guten Gesamteindruck über die Stadt bekommen und konnten am Abend in den sehr schönen und preiswerten Zimmern der Herberge in den wohlverdienten Schlaf fallen – wenn da nicht schon um 8:15 Uhr der Wecker geklingelt hätte, schließlich erwartete uns auch am Dienstag ein breit aufgestelltes Programm, was kein allzu langes Ausschlafen erlaubte.

Nach einem kurzen Frühstück ging es für uns auch schon wieder in die Innenstadt. Auf dem Plan stand der Besuch eines Gymnasiums mit deutscher Lehrsprache. Tatsächlich aber konnte uns das nicht auf das vorbereiten, was wir schließlich zu sehen bekamen: Mitten in der Innenstadt stand ein prunkvolles, tempelartiges Gebäude, was eher auf eine griechische Touristenattraktion als auf eine Schule schließen ließ. Dazu gesellten sich noch zwei Schilder, die beide auf jeweils einen Nobelpreisträger hinwiesen, der diese Schule besucht hat. Die Schule stand dem Migy also in nichts nach. Doch anstatt uns nur auf Äußerlichkeiten zu konzentrieren wollten wir auch mit Schülern ins Gespräch kommen. Dazu trafen wir uns im ,,Festsaal‘‘, um dort mit einer anderen zwölften Klasse über ihren schulischen Alltag zu reden. Diese machen nicht nur das rumänische, sondern sogar das deutsche Abitur. Doch
statt nur über die Schule, konnten wir uns auch gut über andere Themen unterhalten zum Beispiel wie Temeswar in Vergleich zu deutschen Städten abschneidet (deutlich besser als Berlin). Nach diesem Austausch ging es in ein sehr interessant gestaltetes Café. Einerseits gleichte der Außenbereich des Cafés einem tropischen Regenwald mit ebenso vielen Stechmücken und tropischen Krankheiten. Andererseits verbarg sich im Keller des Cafés ein kommunistisches Museum, welches dem Haushalt eines Messis in nichts nachstand, aber trotzdem durch eine Vielzahl historischer Möbel, Spielzeuge und Technik einen guten Einblick in die Zeit des Kommunismus lieferte. Nach dieser kurzen kulturellen Ausschweifung hatten wir die Ehre, mit dem Bürgermeister namens Dominic Fritz zu reden. Er empfing uns nachmittags im Rathaus in einem prunkvollen, mächtig erscheinenden Raum, der wohl zu Konferenzen diente. In dessen Mitte waren Tische quadratisch angeordnet, an denen wir Platz nahmen, wobei jeder sein eigenes Mikrofon und sein eigenes Wasser hatte. Wer sich fragt, warum uns dieses Privileg zuteilwurde, dem sei gesagt, dass unser begleitender Lehrer, Herr Fritz, und der Bürgermeister nicht ohne Grund den Nachnamen teilen. Doch nicht nur der Raum, sondern auch das Gespräch mit dem Bürgermeister hinterließen einen bleibenden Eindruck. Er erzählte, wie er im Rahmen seines FSJ’s das erste Mal nach Temeswar kam und sich dann schließlich im Kampf gegen die Korruption selbst als Bürgermeister aufstellen ließ. Trotz aller Widrigkeiten gewann er als Deutscher schließlich überraschend die Wahl und steht für ein vielfältiges Europa ein, dass auch andere Facetten zu bieten hat als nur Paris, Berlin und Rom. Den Abend konnten wir dann noch entspannt in der sogenannten Bierfabrik bei rumänischen Spezialitäten ausklingen lassen. Ich möchte an dieser Stelle noch ein Lob für die Herberge beifügen, die Räume waren gemütlich eingerichtet und im guten Zustand, wenn auch die Klimaanlage manche Personen dazu verleitete, das Zimmer über Nacht in eine Polarzone zu verwandeln.

Am Mittwoch durften wir dann in den Genuss des zweiten Teils der Stadtführung kommen. Dieses Mal vollzogen wir die rumänische Revolution von 1989 nach, welche ihren Anfang in Temeswar fand. Dabei reichte der Aufruf eines einzelnen widerspenstigen Pfarrers, um zuerst dutzende, dann tausende und schließlich Millionen Menschen auf die Straße zu bringen. Und tatsächlich konnten wir genau den Weg nachempfinden, den die Menschen über die Straßen und Brücken genommen hatten, um zur Parteizentrale zu gelangen, was jedoch in blutigen Ausschreitungen mit dem Militär endete. Es erscheint fast unwirklich das sich in dieser friedlichen Stadt einst solche Straßenschlachten abgespielt haben sollen. Jedoch erinnern kleine unscheinbare schwarze Kreuze, welche auf einzelne Häuser gesprüht worden sind, an die Toten und die Entwicklung die Temeswar im Laufe seiner Geschichte gemacht hat. Unser Stadtführer hatte es geschafft, die Geschichte Temeswars stehts lebhaft und interessant zu verkörpern, was dazu führte, dass die Zeit nur so verflog, wäre da nicht noch eine Theateraufführung gewesen. Tatsächlich wurde uns die Ehre zuteil eine Erstaufführung im deutschen Theater in Temeswar anzuschauen. Dabei wurde die Erstbesteigung des Mount Everest zusammen mit Wladimir Putin, Aliens und einem Federballspiel kombiniert. All dies, um die Frage zu beantworten, was eigentlich Wahrheit
ist. Das Stück ist tatsächlich so verwirrend, wie es sich anhört, doch es war dennoch sehr gut umgesetzt und sehr einprägsam (und es gab gratis Häppchen am Schluss).

Donnerstags kamen wir dann tatsächlich raus aus Temeswar, mithilfe eines sehr geräumigen Reisebusses. Dieser brachte uns in 3 Stunden an die rumänisch-serbische Grenze, an der sich die Donau entlang zog, die sich wiederum durch die Karpaten (rumänisches Gebirge) schlängelt. Unser Fokus lag hierbei auf dem größten Staudamm Rumäniens, den wir in Kombination mit einem Museum besichtigen konnten. Doch in dem Museum konnte man nicht nur die riesigen Turbinen des Wasserkraftwerks sehen, sondern man erfuhr auch einiges über die historischen Hintergründe der Menschen, die an der Donau lebten. Danach erwartete uns auch schon eine zuerst unscheinbar wirkende Bootstour über die Donau. Doch statt eines großen langweiligen Touristenbootes wurde uns die Ehre zuteil, uns auf zwei deutlich kleinere und schnellere Boote zu verteilen. So kam es, dass wir naiv, wie wir waren, schließlich Platz genommen hatten, um uns in trügerischere Ruhe auf eine entspannte Bootsfahrt einzulassen. Diese Ruhe wurde jedoch alsbald unterbrochen als der (sehr sympathische) Kapitän, rumänische Schlagerklassiker zu seinem besten gab, die uns alle zum Mitklatschen ermutigten. Als er dann noch zur ersten (sehr scharfen) Linkskurve ansetzte, die die Hälfte der Besatzung von ihren Plätzen riss, wurde auch dem Letztem klar, dass dies eine sehr amüsante Bootsfahrt werden würde. So kam es, dass wir uns in ständig abwechselnden Links-. und Rechtskurven von Aussichtspunkt zu Aussichtspunkt schlängelten. Dabei ist vor allem ein in Stein gemeißelter Kopf im Gedächtnis geblieben so wie eine durchs Wasser befahrbare Höhle. Tatsächlich hat nicht nur der hohe Adrenalinpegel, sondern auch die schöne Landschaft, die ein wenig an die Alpen erinnert, dafür gesorgt, dass niemand von uns diesen Ausflug so schnell vergessen wird. Schließlich konnten wir uns danach noch in einer Pizzeria stärken, deren Essen höchste Anforderungen an das Verdauungssystem stellte. Immerhin gab uns das Restaurant die Möglichkeit etwas länger in den Genuss der traumhaften Bergkulisse zu kommen, bevor es auch schon wieder nach Hause ging.

Nun waren wir tatsächlich schon am letzten Tag unserer Reise angelangt. An diesem besuchten wir eine Einrichtung der Banater Schwaben, also von Deutschen Siedlern, die sich in Temeswar niedergelassen hatten und hatten schließlich die Möglichkeit zum letzten Mal durch die Innenstadt Temeswars zu schlendern. In dieser herrschte großer Trubel, da gleichzeitig ein Musikfestival begann und auch noch Markt war, welcher unter anderem riesige Holzlöffel anbot (leider zu groß für unsere Koffer). Schließlich ließen wir den Abend bei einem letzten gemeinsamen Essen ausklingen. Das Burgerrestaurant brillierte dabei mit der grandiosen Idee, Hähnchen durch den Fleischwolf zu drehen, um es dann zu einem Patty zu formen. Fairerweise muss man sagen, dass es den allermeisten geschmeckt hat (wahrscheinlich, weil sonst niemand den Hähnchenburger genommen hätte) und das Restaurant sehr günstig war. Außerdem bot es uns die Möglichkeit, die aufregende und schöne Woche, die wir erlebt hatten, Revue passieren zu lassen. Hier bleibt mir nur danke an unsere zwei begleitenden Lehrer zu sagen. Einmal an Frau Traub, die uns mit ihren Übersetzer Skills vor so mancher peinlichen Situation bewahrt hat und immer ein offenes
Ohr für unsere Probleme hatte und natürlich Herrn Fritz, welcher uns mit seinen Connections bis in höchste Regierungskreise gebracht hat und welcher auch bei hitzigen Bootsfahrten einen kühlen Kopf bewahrt hat. Besonderer Dank geht auch an Herrn Traub, welcher die Rückkehr seiner Frau so sehnlichst erwartete, dass er glatt an den Flughafen Temeswar reiste, um uns auf dem Heimflug zu begleiten. Ich glaube, dass ich für uns alle spreche, wenn ich sage das wir eine sehr schöne und aufregende Woche in Temeswar erleben durften, die uns zeigte das an den meisten Vorurteilen rund um Rumänien wenig dran ist.

Richard Angelus

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