Studienfahrt Bosnien 2019

„Lasst uns von Budapest nach Istanbul spazieren!“ Richtung Osten führt die Ferhadija direkt in die osmanische Altstadt mit ihren Läden, Cafés und Minaretten. Der Muezzin ruft zum Gebet, es duftet nach Cevapcici und frischem Brot. Nur wenige Meter hinter uns liegt der Okzident mit seinen Prachtbauten und den Zwillingstürmen einer neugotischen Kathedrale. Wir wenden uns nach Süden und stehen vor der Lateinischen Brücke über den Fluss Bosna: Hier traf am 28. Juni 1914 eine Kugel den Habsburger Thronfolger Franz Ferdinand und riss die Welt in den Abgrund des Ersten Weltkrieges.

Goethe wusste, dass es die beste Bildung auf Reisen gibt. Einst galt Sarajevo als Jerusalem Europas: Kirchen und Moscheen prägen bis heute das Stadtbild. Die „Rosen von Sarajevo“ erzählen eine andere Geschichte. Sie erzählen die Geschichte von Hass und Tod, von Romeo und Julia, von 1425 Tagen Belagerung. Eine Rose von Sarajevo ist ein Ort des Gedenkens. Nur gute 20 Jahre später zeigt uns Sarajevo ein freundliches und sympathisches Gesicht.


Eine der wohl spektakulärsten Bahnstrecken Europas führt uns in die Hauptstadt der Herzegowina. Die untergehende Sonne taucht Berge, Felsen, Flüsse, Wälder, Wiesen, Seen und steinerne Brücken in warmes Licht. Bald stehen wir vor der berühmten Brücke der Stadt Mostar, die ihren Bogen über die Neretva spannt. Seit osmanischer Zeit springen die Jungen der Stadt tief hinab in das glasklare Wasser und tauchen als Mann wieder auf. Die alte Handelsmetropole galt als Schmelztiegel der Kulturen. Hier lebten Christen, Muslime und Juden über Jahrhunderte Tür an Tür. Die Brücke von Mostar – ein Symbol der Verbindung von Ost und West!

Mostar ist eine wunderschöne und warmherzige Stadt mit fröhlichen und tiefgründigen Menschen. Doch bleibt ihre Brücke der Neuanstrich ihrer in der Neretva liegenden Bruchstücke. Bosnien fehlt es an Bosniern! Kein Wunder, dass viele Menschen die Zeiten Jugoslawiens und Titos zurücksehnen.

Doch es lohnt sich die Stadt zu verlassen. Die Neretva zeigt uns ihre Zuflüsse. Neben einem ehemaligen Sufi-Kloster sprudelt klares Wasser aus unerforschten Tiefen – hier versuchten Anhänger des Sufismus, jener mystischen Richtung des Islams, ihren Schöpfer Allah durch Trancezustände direkt zu erfahren. Den einzigartigen Baustil osmanischer Sultane bewundern wir in einer kleinen und gut befestigten Handelsniederlassung. Steile Gassen führen empor zu einem Wehrturm, der den Blick in die Weite des Tales freigibt. Schließlich offenbart sich ein wahres Juwel unseres Planeten: Das grün bewachsene Halbrund der Wasserfälle von Kravice.
Der letzte Tag zeigt uns die abenteuerliche Seite Bosniens: Wildwasser-Rafting lässt unseren Puls steigen; die unberührte Natur mit tiefen Tälern, steilen Canyons und ihrem üppigen Grün raubt den Atem. Das am Grill zubereitetes Mittagessen genießen wir an abgelegener Stelle in der wärmenden Mittagssonne. Bald wird es kalt und wir sind froh, endlich wieder im warmen Minibus zu sitzen, der uns von Konjic zurück nach Mostar bringt.
Eine Woche nach unserer Abreise, gefüllt mit Erlebnissen und Eindrücken, kommen wir wieder zuhause an. Warum lohnt es sich nach Bosnien zu reisen, wo es doch viele bedeutsamere Reiseziele zu geben scheint? Das Land hinterlässt starke Eindrücke und viel mehr Fragen. Eine ungewohnte Dichte von Kultur und Geschichte überwältigt interessierte Besucher, die Schönheit der Natur mutet einzigartig an. Vielleicht spiegelt sich in der Aussage des berühmten Musikers Goran Bregović über den Vergleich von Sarajevo mit Paris auch das besondere Gefühl einer Reise durch Bosnien: „Paris ist die schönste Stadt der Welt, und nichts in Sarajevo ist vergleichbar mit Paris, aber mein Herz zittert nie in Paris wie hier in Sarajevo […].“

Verfasser: Johannes Grundberger
bearbeitet von: Elisabeth Günzel (Presse AG)

X